Wo Platz ist
I may forget, I don't forgive (Therapy? - Turn)
Ich wollte gerade ansetzen, sie zu überholen, die Radfahrerin vor mir. Links, wie man es ja eigentlich auch macht (soviel gestehe ich an dieser Stelle zu), doch als sie dann plötzlich einen Schlenker nach links machte und so auf dieser Seite nicht mehr genügend Platz zum Überholen bot, nahm ich kurzerhand die andere Seite, da war schließlich genügend Platz. Sie zog dann allerdings wieder etwas nach rechts, zwischen uns war allerdings immer noch ausreichend Platz, als ich an ihr vorbeizog (natürlich ohne zu klingeln, warum auch, wenn genug Platz war?). Dann hörte ich ihre Stimme von hinten. Das man ja links überholen würde. Als Antwort machte ich nur eine kleine, schlängelnde Geste mit der Hand, die ihre Fahrweise symbolisieren sollte.
Na ja, eigentlich könnte man diese Geschichte an dieser Stelle abhaken, allerdings wäre sie dann wohl auch nicht so interessant. Denn ein Stück weiter war die Kreuzung Spier (für nicht Leeraner: quasi DER Verkehrsknotenpunkt von Leer, hier kreuzen sich die wichtigsten Straßen). Da ich auf der rechten Straßenseite fuhr, musste ich natürlich warten. Und eine Weile später war auch die Frau, die ich überholt hatte, an der Kreuzung angelangt. Und dann ging's auch schon gleich richtig los: dass man ja wohl links überholen würde. Und ja überhaupt erstmal klingelt, wenn man überholt. Und bla und blubb... Dinge schossen mir durch den Kopf, die ich besser ungesagt ließ, sonst wäre die leichte Röte im Gesicht schnell in ein intensives Puterrot übergegangen, die Halsschlagader hätte gepocht und gepuckert wie nichts gutes, das dunkle, mit grau durchsetzte, kurz gehaltene Haar hätte sicherlich noch mehr grau hinzubekommen und ihre Brille wäre ihr wahrscheinlich vom Kopf gefallen, die Gläser bei ihrem Gekeife allerdings schon vorher zersprungen. Sehr wahrscheinlich wäre sie mit den Händen voran, ohne Rücksicht auf ihr Rad, auf mich zugesprungen und hätte versucht, mir mit ihren Fingernägeln tiefe Risswunden beizubringen. VERKEHRSNAZI war das Wort, was ich immer schon mal anbringen wollte und dieses schien die geeignetste Situation ever gewesen zu sein. Doch ich ließ es sein. Ich fragte mich nur, warum man wegen so einer Lapalie so eine Szene machen musste (immerhin waren auch drei weitere Radfahrer an der Ampel). Ich sagte ihr, dass sie gerade einen Schlenker nach links gemacht hätte, als ich sie überholen wollte. Und dass sie sich ja wohl deswegen nicht so pedantisch (erst wollte ich pissig sagen, doch ich beherrschte mich noch schnell) anstellen müsse. Das ließ sie gar nicht gelten. Wenn sie in der Situation einen Schlenker nach rechts gemacht hätte, wäre es ja wohl zu einem Sturz gekommen und sowieso... Die Ampel sprang auf grün um und ich fuhr los, ohne der Frau noch weiter Beachtung zu schenken. "Wenn ich einen Schlenker nach rechts gemacht hätte", erinnerte ich mich noch kurz. Sie solle gerade fahren lernen, schoss es mir da durch den Kopf, doch diesen Ratschlag ließ ich ebenso ungesagt.
Doch ich mochte diese überkorrekte Hardcoreverkehrsregelnvertreterin schon vorher nicht. Genauso wenig wie ihren Mann. Ich hatte sie mal beim Einkaufen kennengelernt. Beide machten den Eindruck von engagierten, eifrigen Jeden-Sonntag-Kirchgängern auf mich, doch christliche Nächstenliebe schien nicht gerade ihre Stärke zu sein. Denn sonst hätten sie mich, der mir einem einzigen Artikel hinter ihnen stand, vielleicht ungefragt vorgelassen, während sie noch dabei waren, ihren randvollen Einkaufswagen auszupacken. Taten sie aber nicht. Also fragte ich ganz höflich, bekam als Antwort aber nur ein schroffes Nein, dann solle ich doch an die andere Kasse gehen. An dieser Stelle breche ich diesen Eintrag ab, da nur noch Beleidigungen folgen würden, die mir in dem Moment durch den Kopf schossen.
Dissen liegt übrigens ungefähr auf halber Strecke zwischen Osnabrück und Bielefeld.
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