Mein Brotmesser - Teil 2 (von 2)
Er stand auf und stellte die Musik aus. Er hatte sich gerade daran erinnert, dass er ihr die CD mal kopiert hatte und es ihr gefiel. Also doch nicht ganz das Passende für diesen Tag. Unentschlossen stand er da und sah sich die Vielfalt seiner CDs an, Radio entfiel mit seiner Fülle an Liebesschnulzen ohnehin. Nach Emotionalem war ihm definitiv nicht, keine Lieder über Liebe oder Herzschmerz. Das spürte er selbst und brauchte es nicht auch noch vom Silberling zu hören, doch irgendwas musste seine Gedanken in sich aufsaugen und nicht zur Entfaltung kommen lassen.
Er besann sich der Metalphase seines Musikgeschmackes in der Endzeit seiner Jugend. Fear Factory dürfte geeignet sein, oder noch besser Machine Head. "Let freedom ring with a shotgun blast" – das war genau das, wonach ihm der Sinn stand. Aggressive, gewaltvolle Musik würde die Gedanken an sie schon aus seinem Hirn treiben. Er gab seiner Wut den Vorrang, tobte sich aus zur Musik, bis er nicht mehr konnte. Total erschöpft legte er sich auf sein Bett. Die nassen Stellen, die seine Tränen auf der Decke hinterlassen hatten, waren getrocknet. Er beschloss zu schlafen, er hatte ohnehin nichts Besseres zu tun.
Ihr Brief lag neben dem Block, griffbereit, falls er etwas brauchte, wenn ihm die Gedanken ausgingen oder er ihr ihre eigenen Worte vorhalten wollte. Und so kotze er sich im übertragenen Sinne aus, übertrug sein Inneres auf das Papier. Klagte darüber, wie beschissen das Leben doch zu ihm sei und ihr Schreiben und sie nun auch keine Ausnahme mehr bildeten. Erzählte Dinge, die er ihr vorher nicht erzählen konnte, weil er Angst hatte, dass es sie schockieren würde. Doch nun war alles egal. Sollte sie es doch nun erfahren, sollte sie mitbekommen, was sie angerichtet hatte. Er machte sich nicht großartig die Mühe, Fehler sorgfältig zu korrigieren, kümmerte sich nicht darum, dass die eine oder andere Träne auf das Papier fiel. Es war weit nach Mitternacht, als er eine beachtliche Anzahl an Seiten in einen Umschlag steckte und diesen mit ihrer Adresse versah. Morgen würde er ihn einwerfen.
Sein Magen knurrte, kein Wunder, wo er den ganzen Tag noch nichts gegessen hatte. Das Licht im Flur war erloschen, kein Laut war aus den anderen Zimmern zu hören. Sein Mitbewohner würde wohl unterwegs sein, mit Freunden in einer Kneipe oder so. Er knipste das Licht in der Küche an. Ihm war nicht danach, noch etwas zu kochen und so suchte er sich ein paar Sachen zusammen. Brot, Marmelade, Käse, sein Frühstücksbrett, Omas altes Brotmesser. Sein Blick fiel auf den Rest der Post vom Morgen. Ein weiterer Brief für ihn war dabei, seine Handyrechnung. Er nahm das Brotmesser und öffnete den Umschlag. Der Betrag war mal wieder viel zu hoch für seinen Geschmack.